Professor Dr. Justus Haucap
Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) Heinrich‐Heine‐Universität Düsseldorf
THESENPAPIER ZU DEN ÖKONOMISCHEN KONSEQUENZEN UND DER ORDNUNGSPOLITISCHEN BEWER‐ TUNG DER GEPLANTEN NOVELLE DES GESETZES ÜBER DEN DEUTSCHEN WETTERDIENST
Die Bundesregierung plant eine Novelle des Gesetzes über den deutschen Wetterdienst (DWD‐Gesetz, DWDG). Basierend auf einem Entwurf des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat das Bundeskabinett am 18. Januar 2017 den Entwurf für eine Novelle des Gesetzes über den deutschen Wetterdienst (DWD‐Gesetz, DWDG) vorgelegt. Dieser Kabinettsentwurf ist nun Gegenstand des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. Dem Entwurf zufolge (§ 6 Abs. 2a Nr. 2 DWDG‐E) soll der Deutsche Wetterdienst (DWD) die Befugnis erhalten, meteorologische und klimatologische Dienstleistungen für die Allgemeinheit entgeltfrei zu erbringen und zu verbreiten.
Der entgeltfreien Erbringung meteorologischer und klimatologischer Dienstleistungen sollen weder im DWDG‐E selbst wirksame Schranken gesetzt werden noch ist eine institutionelle Beschränkung geplant wie sie etwa in Form des sog. Drei‐Stufen‐Tests im Bereich der Telemedienangebote des öffentlich‐rechtlichen Rundfunks besteht. Aufgrund wettbewerbsrechtlicher Bedenken gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf ist zwar auf Wunsch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ein neuer Absatz 6 in § 4 eingefügt worden mit folgendem Wortlaut: „Der DWD darf Leistungen, die im Sinne das § 6 Absatz 2a unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, soweit dies zu seinen gesetzlichen Aufgaben gehört.“ Die gesetzlichen Aufgaben sind jedoch in § 4 Abs. 1 Nr. 1 mit der „Erbringung meteorologischer und klimatologischer Dienstleistungen für die Allgemeinheit“ so weit gefasst, dass der hinzugefügte Absatz 6 in § 4 faktisch kaum eine Einschränkung im Bezug auf Wetter‐Dienste beinhaltet.
Aus ökonomischer Perspektive bestehen ganz erhebliche Bedenken gegen die geplante Ermächtigung des DWD, steuerfinanziert und entgeltfrei faktisch unbegrenzt in Konkurrenz zu privaten Anbietern meteorologische und klimatologische Dienstleistungen zu erbringen.
1. Ein steuerfinanziertes staatliches Angebot von Dienstleistungen kann aus ökonomischer Perspektive insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn es ansonsten zu sogenanntem Marktversagen zu kommen droht. Marktversagen besteht, wenn von einem Produkt oder einer Dienstleistung ohne staatliche Intervention aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu wenig (oder auch zu viel) produziert wird.
2. Darüber hinaus werden im Bereich der Daseinsvorsorge Produkte und Dienstleistungen staatlich erbracht oder subventioniert, von denen ohne diese staatlichen Maßnahmen weniger angeboten würde als politisch erwünscht.
3. Auf dem Markt für die Verbreitung von Wetterprognosen und Wetternachrichten ist heute kein Marktversagen festzustellen, das ein staatliches Angebot, geschweige denn eine Ausdehnung desselben, recht‐ fertigen könnte. In Deutschland existiert ein wettbewerblicher Markt mit zahlreichen privaten Dienstleistern, die über verschiedene Kanäle (etwa mobile Wetter‐Apps) meteorologische Dienstleistungen für die Allgemeinheit entweder werbefinanziert und entgeltfrei oder auch entgeltlich anbieten. Aus ökonomischer Sicht besteht kein Bedarf für ein weiteres Angebot, das aus Steuermitteln finanziert wird.
4. Eine Ausnahme können Unwetterwarnungen sein. Für deren Verbreitung ist jedoch keine steuerfinanzierte App notwendig, da diese auch heute bereitwillig durch zahlreiche private und öffentlich‐rechtliche Medien sowie private Wetteranbieter verbreitet werden.
5. Ein darüber hinausgehender Ausbau unentgeltlicher staatlicher Angebote für die Allgemeinheit, also für Endverbraucher, droht vielmehr einen funktionierenden Markt mit innovativen Angeboten zu zerstören.
Je nach Qualität des staatlichen Angebots (etwa Nutzerfreundlichkeit einer App) kann es für private Anbieter unmöglich werden, mit entgeltlichen oder werbefinanzierten Angeboten gegen unentgeltliche werbefreie Produkte weiter zu bestehen. Das Resultat wäre eine steuerfinanzierte staatliche Monopolisierung des Marktes.
6. Staatliche Monopole sind selten besonders innovativ noch besonders effizient. Zu erwarten ist vielmehr langfristig (i) eine kostspielige und ineffiziente staatliche Produktion und somit eine weitere Verschwendung von Steuergeldern, (ii) der Verlust von Arbeitsplätzen im privaten Sektor und (iii) ein Erschlaffen der Innovationsdynamik.
7. Die zu befürchtende Verdrängung privater Wetterdienstleister und staatliche Monopolisierung des Marktes für metereologische Dienstleistungen steht in krassem Gegensatz zu den Zielen der Digitalen Agenda und der Politik offener Daten („Open Data“).
8. Die wesentlichen Ziele der Politik offener Daten sind zum einen eine erhöhte Transparenz politischen und behördlichen Handelns, zum anderen positive ökonomische Effekte. Ersteres spielt bei meteorologischen und klimatologischen Daten bestenfalls eine sehr untergeordnete Rolle, da behördliches oder politisches Handeln regelmäßig nicht mit Hilfe von meteorologischen und klimatologischen Daten überprüft wird. Wohl aber können von einer Bereitstellung von Daten als „Rohstoff der Digitalisierung“ sehr positive ökonomische Effekte ausgehen. Vor allem geht es um die Inkubationswirkung für Innovationen für neue metereologische und klimatologische Dienste sowie eine Ermöglichung wirksamen Wettbewerbs um Endverbraucher. Öffentliche Daten sollen dieser Philosophie folgend als Rohstoff – ähnlich wie die öffentliche Verkehrsinfrastruktur – bereitgestellt werden, um so Wettbewerb und Innovationen zu ermöglichen und anzureizen. Eigene Speditionen hingegen, die unentgeltlich Transportdienstleistungen für die Allgemeinheit erbringen, sollte der Staat nicht betreiben. Der DWD sollte der Open Data‐Philosophie folgend auf die Stufe der Datenerhebung und ihre Datenbereitstellung als „Rohstoff“ beschränkt sein, nicht aber die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Endverbraucher erbringen, solange kein Marktversagen droht.
9. Ziel der Open Data‐Philosophie und der Digitalen Agenda ist es nämlich nicht, durch die eigene staatliche Weiterverarbeitung von Daten und das unentgeltliche Anbieten eigener Apps mit Hilfe von Steuergeldern private Anbieter vom Markt zu verdrängen und die Entwicklung privater Angebote drastisch zu erschweren. Eine solche Politik steht vielmehr in völligem Widerspruch zur prinzipiellen Idee der Open Data‐Politik.
10. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die geplante Novelle des DWDG in ihrer jetzigen Form aus ordnungspolitischer Sicht vollkommen verfehlt ist. Durch die Novelle droht der funktionierende Markt für Wetterdienstleistungen an Endverbraucher zerstört zu werden, die Innovationsdynamik würde dementsprechend erlahmen, private Arbeitsplätze massiv gefährdet und Steuergelder verschwendet, um diese adversen Effekte zu produzieren. Der geplante Freibrief für den DWD zur uneingeschränkten und unent‐ geltlichen Erbringung und Verbreitung metereologischer Dienstleistungen ist daher aus ökonomischer Perspektive aufgrund der zu erwartenden schädlichen Effekte für die digitale Wirtschaft in Deutschland abzulehnen.
Düsseldorf, 20. Januar 2017
Professor Dr. Justus Haucap